Geflecht


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Durften Sie schon einmal flechten?
Ich durfte es. Im Diakoniepraktikum in der Stiftung St-Jakob am Stauffacher.
Wer flechtet, braucht weder Zen noch Tai Chi.

Die sogenannten Fäden reissen mit Vorliebe am Ende eines schwierigen Durchgangs, sodass ich phasenweise immer wieder von neuem beginnen muss. Übung in Geduld und Achtsamkeit. Dann gibt es Tage, an denen die Fäden so gut halten, dass ich zu unkonzentriert arbeite und dann wegen eines Fehlers alle Fäden wieder rausnehmen muss. Übung in Aufmerksamkeit. Und trotz solcher Überraschungen und mehrfacher Neustarts gelingen mir bald zwei schöne Geflechte, die für mich von meinen inneren Kämpfen gegen aufkommende Wut und Ungeduld und von meinem Lernen zeugen. Das Foto zeigt einen kleinen Ausschnitt meines ersten Geflechts.

Die Stimmung in der Flechterei erinnert mich an frühere Zeichen- und Modellierkurse. Alle sind in ihre Arbeit vertieft. Ab und zu ein Lachen oder Schimpfen, manchmal auch kurze Gespräche, ein Lernen durch die Fehler anderer, aber alles in allem doch viel Ruhe und Konzentration. Ich liebe diese Stimmung! Sie hat etwas Meditatives und man teilt etwas mit einer Gemeinschaft. Alle verstehen, wie es ist, wenn der Faden am Ende des Durchgangs reisst! Und alle wissen bald, dass Fehler und Risse eher dann auftreten, wenn wir innerlich unruhig sind. Flechten als Schule des Lebens? Mir kommt es so vor.

Die handgemachten Geflechte werden von den Kunden und Kundinnen als schöner wahrgenommen, als jene, die von Maschinen geflochten wurden. Wohl, weil die kleinen Unregelmässigkeiten vom Menschen und von der Natur zeugen, vom Leben also, und das hat seine ganz eigene Schönheit.

Später im Gemeindepraktikum entdeckte ich ein neues Geflecht: Die Gemeinde als Geflecht Gottes. Wir lassen es zu, dass der Heilige Geist unser Leben mit jenem anderer Menschen verflechtet. Jeder Faden im Geflecht hat seinen Platz, seine Richtung, seine Aufgabe und seine Nachbarfäden. Jeder Faden gehört zum Ganzen und verleiht ihm Tragkraft und Schönheit zugleich. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Gemeindegeflechte, mit Gottes Augen gesehen, wunderschön sind, gerade auch, wenn sie uns selbst nicht perfekt erscheinen mögen.

Tatjana Cárpino Satz

Dieser Artikel erschien für die Kirchgemeinde Zürich-Albisrieden im Gemeindeblatt "Albisrieden", Beilage der Zeitung "reformiert." Nr. 5 vom 22.02.2013.
Bild: Geflecht und Foto (C)Tatjana Cárpino Satz.
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